Die Bologna-Reform. Vergleich der Studiensysteme vor und nach ihrer Einführung

Bologna - Reform (Photo by shubhamsharan on Unsplash)

Diplom und Magister versus Bachelor und Master

1. Einführung

In der hier vorliegenden Arbeit wird ein Vergleich der Studiensysteme vor und nach der Bologna-Reform vorgenommen. Bei der Betrachtung des Diplom-/Magister- und Bachelor-/Master-Systems sollen die jeweiligen Vor- und Nachteile herausgearbeitet werden, um sich der Beantwortung der zentralen Fragestellung dieser Arbeit widmen zu können. Es soll herausgefunden werden, ob mit der Bologna-Reform das deutsche Hochschulstudiensystem besser im Vergleich zum Diplom-/Magistersystem ist. Hierfür sollen die Vor- und Nachteile der beiden Systeme nicht nur quantitativ betrachtet werden, sondern auch qualitativ begutachtet werden. Es soll festgestellt werden, ob mit der Bologna-Reform eine allgemeine Verbesserung (vor allem bzgl. der zuvor vorhandenen Problematiken im Diplom-/Magisterstudium) nach ihrer Einführung erreicht werden konnte. Diese Verbesserung soll sich vor allem auf die Gegebenheiten für die Studierenden fokussieren.

Ein Interesse für die Beantwortung dieser Fragestellung ergibt sich vor allem aus den (immer noch) aktuellen Debatten um das Studium unter der Bologna-Reform. Es werden negative Nebeneffekte wie u.a. eine Verschulung der Universitäten, eine Überlastung der Lehrkräfte, aber auch der Studierenden, sowie die Berufstauglichkeit von Studierenden ohne Masterabschluss diskutiert. Dabei stellt sich stets die Frage, ob unter der Bologna-Reform eine Verbesserung der Studiengegebenheiten erfolgte bzw. die unter der Reform formulierten Ziele tatsächlich erreicht wurden. Eine Beantwortung dieser Fragestellung könnte einen Umgang mit den negativen Nebeneffekten bzw. sogar eine Behebung dieser ermöglichen. Es könnte sogar durch eine regelmäßige Beleuchtung dieser Thematik eine stetige Verbesserung im deutschen Hochschulsystem gewährleistet werden.

Im Rahmen dieser Arbeit wird nur auf vereinzelte Aspekte genauer eingegangen, die sich auf gravierende Besonderheiten beziehen.

Zunächst soll das Diplom-/Magisterstudium vor der Bologna-Reform betrachtet werden. Hierbei wird auf seinen Entstehungsprozess und allgemeinen Studienablauf eingegangen. Daraus werden sich einige Vor- und Nachteile ergeben, welche im weiteren Verlauf eine erste Grundlage für den Vergleich zum Bachelor-/Masterstudium bzw. die Beantwortung der zentralen Fragestellung dieser Arbeit im vierten Kapitel bilden.

Im Weiteren wird auf das Studiensystem nach der Bologna-Reform eingegangen. Hierbei werden die einzelnen Komponenten eines Bachelor-/Masterstudiums betrachtet, wobei jeweils deren Vor- und Nachteile hervorgehoben werden. Im vierten Kapitel bilden diese dann die zweite Grundlage für den hier erfolgenden Vergleich bzw. für die Konsequenzen daraus.

Im Voraus lässt sich bei der Betrachtung der allgemeinen Debatten um die Bologna-Reform bereits vermuten, dass das Bachelor-/Mastersystem einige Nachteile aufweisen wird, welche die Qualität des deutschen Hochschulsystems in Frage stellen könnten. Allerdings ist fraglich, inwiefern diese im Vergleich zum Diplom-/Magisterstudium zu betrachten sind. Es könnte sich u. U. ergeben, dass manche Problematiken vor der Reform durch Bologna behoben werden konnten und andere wiederum nicht. Jedoch könnten sich auch neue negative Aspekte herauskristallisiert haben, welche zuvor nicht vorhanden waren.

Um dies eindeutig beantworten zu können, wird im Nachfolgenden nun zunächst auf das Diplom-/Magisterstudium genauer eingegangen.

2. Vor der Bologna-Reform – Pro und Contra

Vor der Bologna-Reform existierte der Diplom-/Magisterabschluss an den Universitäten (vgl. WEX, 2005a:23). Dieser wurde „[…] Mitte des 19. Jahrhunderts […]“ (WEX, 2005a:23) eingeführt, aufgrund der „[…] aufstrebenden und stark an Bedeutung gewinnenden technischen Berufe […]“ (WEX, 2005a:24). Denn zuvor gab es „[…] keine förmlichen Leistungsnachweise“ (WEX, 2005a:24) für technische Berufe, „[…] mit denen außerhalb des Staatsdienstes eine Anerkennung […] erstrebt […]“ (WEX, 2005a:24) werden konnte. Daher führten die technischen Akademien und Hochschulen die Diplomprüfung ein, welche als Nachweis diente, dass „[…] die Kandidaten durch [ihr] akademische[s] Studium diejenige Ausbildung in ihrem Fach erworben haben, welche eine ausreichende Grundlage für eine selbstständige und praktische wissenschaftliche Tätigkeit gewährt.“ (WEX, 2005a:24). Nachdem der kurzweilige „[…] Anerkennungskonflikt Ende des 19. Jahrhunderts […]“ (WEX, 2005a:24) zwischen dem akademischen/hochschulischen Diplom- und einem traditionellen Universitätsabschluss durch den „[…] Reichserlaß Wilhelm II. vom 11.10.1899 […]“ (WEX, 2005a:24) beendet wurde, führten auch mit „[…] Beginn des 20. Jahrhunderts […] zahlreiche Universitäten die Diplomprüfung ein.“ (WEX, 2005a:24). Diese Prüfung galt damit als „[…] berufsqualifizierende[r] Abschluß […]“ (WEX, 2005a:25), denn er ermöglichte eine Feststellung, „[…] ob der Prüfling die Zusammenhänge seines Faches überblickte, die Fähigkeit besitze, wissenschaftliche Methoden anzuwenden und die für den Übergang in die Berufspraxis notwendigen gründlichen Fachkenntnisse erworben habe.“ (WEX, 2005a:25).

Die Studierenden legten damals „[…] nach dem Grundstudium eine Zwischenprüfung […]“ (WINTER, 2015a) ab und absolvierten generell nach neun Semestern mit der Diplom- oder Magisterprüfung ihren Studienabschluss (WINTER, 2015a). Sie konnten im Verlauf ihres Studiums „[…] relativ frei wählen […]“(WINTER, 2015a) aus „[…] einzelnen Vorlesungen, Seminaren, Übungen, Laborpraktika und so weiter […]“ (WINTER, 2015a), wobei die „[…] Grundlage für die[se] Lehrveranstaltungen […]“(WEX, 2005b:135) eine „[…] fächerorientierte Studienstruktur […]“ (WEX, 2005b:135) war.

Die erfolgreiche Absolvierung einer Veranstaltung wurde mit einem Schein schriftlich bestätigt, welchen die Studierenden von der Lehrperson dieser Veranstaltung erhielten (vgl. KÜHL, 2014a:38). Die Lehrenden hatten die Freiheit die Anforderungen an eine erfolgreiche Absolvierung ihrer Veranstaltung selbst zu definieren (vgl. KÜHL, 2014a:38). Eine dieser Anforderungen konnte auch die erfolgreiche Absolvierung einer anderen Veranstaltung sein (vgl. KÜHL, 2014:38), wodurch eine „[…] Form der Zusammenfassung von Leistungen […]“ (KÜHL, 2014a:38) entstand. „Abgesehen von einigen Pflichtveranstaltungen […]“ (KÜHL, 2014b:64) konnten die Studierenden ihren Studienverlauf, „[…] unter wenigen Restriktionen selbst zusammenstellen.“ (KÜHL, 2014b:64), da auch „[…] die Studienordnungen wenig Vorgaben machten“ (KÜHL, 2014b:64) und sie ihre Veranstaltungswahl nur nach ihren eignen Interessen, Wünschen und ggf. beruflichen und/oder familiären Einschränkungen ausrichten mussten (vgl. KÜHL, 2014b:64). Die Anzahl der zu erbringenden Scheine variierte je nach Universität bzw. Hochschule (vgl. KÜHL, 2014a:33). Die Studierenden „[…] sammelten ihre Scheine in einem Studienbuch […]“ (KÜHL, 2014a:32) und konnten diese gegen eine Zulassung zur Abschlussprüfung eintauschen (vgl. KÜHL, 2014a:33). Mit dem erfolgreichen Bestehen der Prüfung erhielten sie ihren Diplom-/Magisterabschluss, welcher die Studierenden für die Berufspraxis qualifizierte (vgl. WEX, 2005a:25).

Die generelle Ausrichtung der Diplom-/Magisterstudiengänge zeichnete sich durch eine „[…] ‚Lehrerorientierung‘ […]“ (KÜHL, 2014a:28) aus, da „[…] der Umfang von Studium und Lehre […] nach dem Aufwand der Lehrenden in Semesterwochenstunden und die abschließende Fachprüfung […]“ (WEX, 2005b:140) berechnet wurde. Dies hat sich, wie im nachfolgenden Kapitel ersichtlich werden wird, mit der Bologna-Reform zu einer Fokussierung des „[…] Lernerfolg(es) des Studierenden […]“ (WEX, 2005b:140) gewandelt. Trotz dieser (für die Lehrpersonen vorteilhafte) Ausrichtung, ergeben sich auch für die Studierenden von den bisher genannten Ausführungen einige Vorteile im Diplom-/Magisterstudium. Dazu gehören z. B. eine gewisse Wahlfreiheit ihrer Veranstaltungen (vgl. WINTER, 2015a) und wenige Einschränkungen, z. B. durch Pflichtveranstaltungen oder Vorgaben in der Studienordnung (vgl. KÜHL, 2014b:64). Zudem erscheint das Diplom-/Magisterstudium wenig prüfungslastig, da es hauptsächlich nur eine Zwischenprüfung und Abschlussprüfung umfasste (vgl. WINTER, 2015a). Da die Lehrperson die Freiheit hatte die Anforderungen für das Bestehen ihrer Veranstaltung selbst festzulegen (vgl. KÜHL, 2014a:38), konnten allerdings zu diesen beiden Prüfungen u. U. vereinzelte Veranstaltungsprüfungen hinzukommen. So konnte die Lehrperson hier eine schriftliche bzw. mündliche Prüfung als Anforderung zum Erhalt eines Scheins definieren.

Dies sind zunächst die wesentlichen Vorzüge für die Studierenden in einem Diplom-/Magisterstudium, welche aus der alleinigen Betrachtung des Studienverlaufs ersichtlich werden.

Neben diesen Vorzügen, beklagten die Studierenden aber auch Probleme (vgl. WEX, 2005a:27). Darunter z. B. „Überlange Studienzeiten, fehlende Anreize für Leistungsorientierungen und zu geringe Beratung und Betreuung der Anfangssemester […]“(WEX, 2005a:27) und, dass die „[…] Bezeichnung ‚Diplom‘ […] in weiten Teilen des Auslands als undifferenzierte Qualifikation auch im nichtakademischen Bereich […]“ (WEX, 2005a:27) verwendet werde. Mit dem letzten Aspekt ergaben sich Abwertungs- und Anerkennungsprobleme im Ausland (vgl. WEX, 2005a:26-28), welche mit der Einführung des Bachelor-/Mastersystems behoben werden sollten (vgl. WEX, 2005a:27).

Die „Überlange[n] Studienzeiten, [sowie] fehlende Anreize für Leistungsorientierungen […]“ (WEX, 2005a:27) lassen sich aus der Betrachtung des Verlaufs des Diplom-/Magisterstudiums folgendermaßen herleiten:

Ein Diplom-/Magisterstudium dauerte neun Semester (WINTER, 2015a). Das bedeutete folglich, dass die Studierenden zum Erlangen eines Diplom- oder Magisterstudiums neun Semester (viereinhalb Jahre) studieren mussten. Zu beachten ist jedoch, dass es sich hierbei um die Regelstudienzeit handelte. Das heißt, dass es u. U. aus beruflichen und/oder persönlichen Gründen länger als viereinhalb Jahre dauerte, bis die Studierenden ihr Diplom- oder Magisterstudium erfolgreich abschließen konnten. Daraus ergab sich die Problematik der „Überlange[n] Studienzeiten […]“ (WEX, 2005a:27), welche die Studierenden beklagten.

Der „[…] fehlende Anreiz für Leistungsorientierungen […]“ (WEX, 2005a:27) resultierte aus den wenigen Vorschriften zur Veranstaltungswahl und der nicht vorhanden Festlegung von Leistungsnachweisen für die jeweiligen Veranstaltungen in den Studienordnungen (vgl. WINTER, 2015a; KÜHL, 2014a:38). Die Studierenden waren somit auf sich allein gestellt und auf ihre eigene Motivation angewiesen, dieses Studium mit einem guten Notenschnitt abzuschließen. Sie wählten selbst ihre Veranstaltungen nach Interesse (vgl. KÜHL, 2014b:64) und hatten aufgrund minimaler Wahlvorgaben u. U. nur wenige Vorstellungen, welche Veranstaltungen ihnen in der Berufspraxis von besonderem Nutzen sein könnten. Im nachfolgenden Kapitel wird deutlich werden, inwiefern durch die Bologna-Reform versucht wurde diesen „[…] fehlende[n] Anreiz für Leistungsorientierungen […]“ (WEX, 2005a:27) zu beseitigen.

Eine quantitative und qualitative Bewertung der Vor- und Nachteile des Diplom-/Magistersystems erfolgt im abschließenden Kapitel dieser Arbeit. Zuvor wird ein Blick auf die Änderungen im Studienwesen mit der Einführung der Bologna-Reform geworfen.

3. Nach der Bologna-Reform – Pro und Contra

Die Idee einer Bologna-Reform ergab sich „Anfang der 90er Jahre […]“ (WEX, 2005a:27) mit der Frage nach der Wertigkeit des „[…] deutsche [n] Diplom[s] im Ausland […]“(WEX, 2005a:27; Hervorhebung im Original). Das zentrale Ziel der Bologna-Reform war es „[…] einen ‚Europäischen Hochschulraum‘ bis zum Jahr 2010 zu schaffen […]“ (WOLTER; BANSCHERUS, 2012:25). Dafür wurden vier untergeordnete Voraussetzungen definiert, welche die Umsetzung des zentralen Ziels gewährleisten sollten (vgl. WOLTER; BANSCHERUS, 2012:25):

1. Die „[…] internationale Attraktivität [des europäischen Hochschulraumes für] Studierende (sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler) aus allen Weltregionen […]“(WOLTER; BANSCHERUS, 2012:25).
2. Das „[…] Streben nach besserer Vergleichbarkeit und Vereinbarkeit der Studiensysteme […]“ (WOLTER; BANSCHERUS, 2012:25-26).
3. Der „[…] Abbau von formalen Mobilitätshemmnissen, insbesondere in der Frage der Anerkennung von Studienleistungen […]“ (WOLTER; BANSCHERUS, 2012:26).
4. Die „[…] Implementation einer ‚europäischen Dimension‘ in der Hochschulbildung“ (WOLTER; BANSCHERUS, 2012:26).

Mit diesen vier Voraussetzungen und dem übergeordnetem Ziel (der Schaffung eines Europäischen Hochschulraumes) (vgl. WOLTER; BANSCHERUS, 2012:25-26), sollten u. a. auch die Problematiken der „Überlange[n] Studienzeiten, fehlende[n] Anreize für Leistungsorientierungen und zu geringe Beratung und Betreuung der Anfangssemester […]“ (WEX, 2005a:27) im Diplom-/Magisterstudium, sowie die Abwertungs- und Anerkennungsprobleme des Diplomabschlusses (vgl. WEX, 2005a:26-28), behoben werden (vgl. WEX, 2005a:27).

Die Implementierung der genannten Voraussetzungen sollte durch die Einführung verschiedener Elemente erfolgen (vgl. WINTER, 2015b; WOLTER; BANSCHERUS, 2012:25-26), wobei die „[…] internationale Attraktivität [des europäischen Hochschulraumes für] Studierende (sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler) aus allen Weltregionen […]“ (WOLTER; BANSCHERUS, 2012:25) sich aus dem Zusammenspiel der einzelnen Elemente und „[…] der Förderung der europäischen Zusammenarbeit bei der Qualitätssicherung und der Qualitätsentwicklung […]“ (WOLTER; BANSCHERUS, 2012:25) ergibt. Diese Elemente zeichnen das Studium unter der Bologna-Reform heute aus (vgl. WINTER, 2015b; WOLTER; BANSCHERUS, 2012:25-26). Hierzu gehört die „ Stufung und Abfolge der Studiengänge […]“ (WINTER, 2015b; Hervorhebung im Original), das „ ECTS […]“ (WINTER, 2015b; Hervorhebung im Original) und die „ Modularisierung des Studiums […]“ (WINTER, 2015b; Hervorhebung im Original), sowie das Diploma Supplement (vgl. WEX, 2005b:150-151). Diese vier Komponenten der Bologna-Reform werden in den nachfolgenden Unterkapiteln unter Berücksichtigung ihrer Vor- und Nachteile genauer betrachtet. . . .

Zurück
Zurück

Der Arbeitskraftunternehmer nach Günter Voß und das Unternehmerische Selbst nach Ulrich Bröckling

Weiter
Weiter

Berufschancen für Jugendliche mit Fluchthintergrund