Der funktionalpragmatische Ansatz zur Sprachvermittlung

Die Funktionalpragmatik zur Sprachvermittlung (Photo by Patrick Tomasso on Unsplash)

Literarische Texte im Spracherwerb und Sprachunterricht

„[…] the process of language acquisition is completed once the learner has acquired the “form of life”.” (EHLICH, 1981/2007:348) Dieses Zitat gibt Anlass einen neuen Blickwinkel auf Fremdsprachenvermittlung einzunehmen, einen funktionalpragmatischen. Die Rede ist von „form of life“, welche sich Lernende für den erfolgreichen Spracherwerb aneignen müssen (vgl. EHLICH, 1981/2007:348). Der Zusammenhang im Titel zwischen literarischen Texten und der Funktionalpragmatik (FP) erscheint zunächst abstrakt. Im Laufe dieses Beitrags werden sich jedoch praktische Anregungen für Sprachlehrende und -lernende ergeben. Die durch Ehlich und Rehbein in den 1960er Jahren begründete FP als eine Methode zur Rekonstruktion von Sprache legt ein Fundament zur Ausarbeitung eines Lehr- und Lernansatzes in der Sprachvermittlung (vgl. EHLICH, 1991/2007:10). Um folgende Ausführungen nachvollziehen zu können, seien an dieser Stelle kurz einige Aspekte dieses funktionalpragmatischen Fundaments erläutert: Kommunikation wird in der FP als eine Form der Interaktion betrachtet, mit dem Ziel das gesellschaftliche Dasein zu organisieren. Sprache ist hierbei ein Werkzeug, das zu diesem Zwecke der Organisation genutzt wird (vgl. EHLICH, 1991/2007:11). Im Zusammenhang mit der Interaktion als entscheidendes Wesen menschlichen Handelns, wird vom sprachlichen Handeln gesprochen (vgl. ebda.). Das sprachliche Handeln ist ein entscheidender Punkt, der sich auch im Rahmen der Arbeit mit literarischen Texten im Laufe dieses Beitrags wiederfindet. Kurzum ist festzuhalten, dass sich die verschiedenen Zwecke unserer menschlichen Kommunikation aus unserem gesellschaftlichen Dasein herausbilden bzw. herausgebildet haben und damit Systeme gesellschaftlicher Natur repräsentieren (vgl. ebda.). Mit „form of life“ im obigen Zitat Ehlichs ist dieses System bzw. dieser gesellschaftliche Apparat gemeint (vgl. EHLICH, 1999/2007:41). Es ist daraus zu schließen, dass es gilt sich Sprache als Handlungsressource zur erfolgreichen Bearbeitung von Zwecken innerhalb eines gesellschaftlichen Apparats einer Sprechergemeinschaft anzueignen (vgl. ebda.). Dieser Ausgangspunkt bietet eine Anknüpfungsmöglichkeit für literarische Texte. Nach Müller handelt es sich bei „literarisch“ weniger um eine Texteigenschaft, als vielmehr um eine Form des Verstehens, des Lesens und des Kommunizierens (vgl. MÜLLER, 1998:727; MÜLLER-PEISERT, 2005:90). „Literarisch“ repräsentiert demnach eine Form des sprachlichen Handelns. Die dahinterstehenden Grundideen der empirischen Literaturwissenschaft überschneiden sich somit dem Ausgangspunkt der FP. Zum einen kennzeichnet sich „literarisch“ in pragmatischer Hinsicht durch die Art und Weise der Verwendung eines Textes innerhalb einer Sprachgemeinschaft (vgl. MÜLLER-PEISERT, 2005:90-91). Entscheidend hierbei ist, dass nicht der Text selbst seine Umgangsweise mit ihm bestimmt, sondern der Lesende (vgl. MÜLLERPEISERT, 2005:96). Diese Tatsache wiederum ist im funktionalpragmatischen Sinne im Kontext des gesellschaftlichen Apparats zu betrachten, denn Normen des Textumgangs eignet sich der Lesende im Prozess der Sozialisation bzw. des gesellschaftlichen Austausches an (vgl. MÜLLER-PEISERT, 2005:100). Die Rede ist von Konventionen zum Textumgang, d.h. zum Textverstehen und -lesen, welche die Interaktion (hier die Text-Leser-Interaktion) regulieren (vgl. MÜLLER-PEISERT, 2005:100). Dieser Aspekt lässt sich auch mit dem Folgenden verbinden: Einzelne Individuen nehmen die Welt grundlegend aus ihrer „eigenen Brille“ wahr, wobei immer nur das Bewährte tatsächlich als wahr gilt (vgl. MÜLLER, 1998:730). Vorgebend für ihre „eigene Brille“ ist an dieser Stelle folglich das gesellschaftliche Umfeld des einzelnen Individuums (vgl. ebda.). D. h. die individuelle eigene Wahrnehmung und Handlungsfähigkeit wird durch das soziale Umfeld, den gesellschaftlichen Apparat geformt (vgl. ebda.). Begründen lässt sich das in der unermüdlichen Suche eines einzelnen Individuums nach Bestätigung in der Kommunikation, Interaktion bzw. dem sprachlichen Handeln mit anderen Individuen (dem Bewährtem), denn es steht zum Ziel eine vereinte Wirklichkeit als Bezugspunkt zueinander zu finden (vgl. ebda.). Genau das passiert innerhalb einer Sprechergemeinschaft zur Herausbildung eines gesellschaftlichen Apparats, welcher der erfolgreichen Bearbeitung gesellschaftlicher Zwecke dient (vgl. EHLICH, 1991/2007:10-11; EHLICH, 1999/2007:41). Es ist entscheidend für eine gelungene Kommunikation bzw. Interaktion (vgl. MÜLLER, 1998:730) und ist mit den Ideen des funktionalpragmatischen Ansatzes vereinbar (vgl. EHLICH, 1999/2007:10-11; EHLICH, 1999/2007:41). Gleiche Bezugspunkte zwischen Kommunizierenden zu haben bzw. eine gemeinsame Wirklichkeit zwischen Sprecher (S) und Hörer (H) zu schaffen, ist fundamental für das Verstehen, das Gelingen einer Kommunikation. Im Zuge des o.g. unermüdlichen Antriebs eines Menschen Bestätigung in der Kommunikation zu finden, erfolgt eine Angleichung der Verhaltensweisen, Arten zu denken, usw. der einzelnen Individuen innerhalb ihrer Interaktion (vgl. MÜLLER, 1998:731-732). Im Prozess des literarischen Lesens im kommunikativen Kontext passiert im Ideal genau das (vgl. MÜLLER, 1998:733). Für einen literarischen „Brillenwechsel“ ist es daher entscheidend fremdkulturelle Literatur im sozialen Kontext zu lesen (vgl. MÜLLER, 1998:733-735). Leseresultate und -erkenntnisse werden in einem kommunikativen Kontext, d.h. innerhalb einer Gruppe von mindestens zwei Individuen, nach deren vorherrschenden Konventionen beurteilt (vgl. ebda.). Der literarische Lese- bzw. Verstehensprozess wird nach dem gesellschaftlichen Apparat ausgerichtet und definiert (vgl. ebda.). Die Normen für Lesen, Verstehen, Kommunizieren, sowie für die Bedeutungszuordnung setzt der Lesende aktiv selbst (vgl. ebda.). Der Lesende füllt aktiv die Wissenslücken im literarischen Text mit seinem eigenen Wissen und seinen eigenen Erfahrungen (vgl. MÜLLER, 1998:729). Allerdings basieren, wie bereits oben erwähnt, diese Wissensbestände und diese Erfahrungen des Lesenden auf den Konventionen des gesellschaftlichen Apparats dessen Sprechergemeinschaft (vgl. ebda.; MÜLLER, 1998:733). Literarisches Lesen ist demnach ein Kommunikations- bzw. Interaktionsprozess, bestimmt durch die Sozialisation des Lesenden (vgl. MÜLLER, 1998:731). Konkretisieren lässt sich dies am Beispiel der schulischen Sozialisation bzw. des Literaturumgangs in der Institution Schule. Während im deutschsprachigen Raum die hermeneutische Herangehensweise (d.h. Bedeutungsannährung erfolgt durch Lehrerfragen) im Umgang mit Literatur dominiert, wird im britischen Raum eher auf eine aktive Form der Literaturbearbeitung (u.a. die szenische Umsetzung) gesetzt und im Französischen ist eher der Lehrvortrag vorherrschend (vgl. MÜLLERPEISERT; 2005:120,130). Es ist bereits an dieser Stelle deutlich, dass sich die Bearbeitung von Literatur je nach betrachteter Sprachgemeinschaft und damit einhergehender Sozialisation unterscheidet. Auch Dobstadt und Riedner bestätigen diese Ansicht. Ihnen zufolge bedarf es zur erfolgreichen Kommunikation in einer Sprache sich verschiedene kulturell bedingte Handlungs- und Deutungsmuster anzueignen (vgl. DOBSTADT et. al., 2011:6). Es bedarf einer Vermittlung der Handlungs- und Deutungsmuster der jeweiligen, zu erlernenden Sprache. Literarische Texte bieten nach Dobstadt und Riedner eine Quelle fremdsprachliche Handlungsund Deutungsmuster zu erkennen (vgl. DOBSTADT et. al., 2011:8). Die Aneignung dieser Muster erfolgt auch laut ihnen durch die Auseinandersetzung mit literarischen Texten (vgl. ebda.). In diesem Prozess der Auseinandersetzung reflektieren ihnen zufolge Lesende ihre eigenen (muttersprachlichen) Deutungsmuster (vgl. ebda.). Mit dem parallelen Erkennen neuer Muster wird eine Bearbeitung, sowie Veränderung fremdsprachlicher und eigener Handlungs- und Deutungsmuster angestoßen (vgl. ebda.). Aus funktionalpragmatischer Sicht formuliert, werden hier die fremdsprachlichen Handlungsmöglichkeiten zur Bearbeitung von Zwecken innerhalb des gesellschaftlichen Apparats den Lernenden offenbart. MÜLLER empfiehlt für den schulischen Umgang mit Literatur im Fremdsprachenunterricht folgende vier Handlungseinheiten zu integrieren: Produktion, Rezeption, Vermittlung und Verarbeitung (vgl. MÜLLER-PEISERT, 2005:122). Im Zuge der hermeneutischen Herangehensweise in der deutschen Sprachgemeinschaft bieten die bisherigen Ausführungen, sowie die Handlungseinheiten Produktion und Rezeption einen ersten Ansatzpunkt zur funktionalpragmatischen Sprachvermittlung. Wie das praktisch im Fremdsprachenunterricht aussehen kann, sei anschließend an die folgenden Ausführungen erläutert. In Bezug zur FP sei im Rahmen dieses Beitrags der Ebene der Prozeduren, im Speziellen der deiktischen und phorischen Prozeduren besondere Aufmerksamkeit gegeben. Die weiteren Ebenen, wie die der Illokutionen, Sprachlichen Handlungen und Handlungsmuster werden in anderen Beiträgen im Kontext eines Funktionalpragmatischen Ansatzes zur Sprachvermittlung dargestellt. Die Prozeduren sind die kleinste sprachliche Einheit in der FP (vgl. EHLICH, 2007:1). Sie werden vom S eingesetzt, um eine Verständigung mit dem H zu erzielen, in dem sie als sprachliches Mittel das kommunikative Umfeld schaffen bzw. organisieren. Wie bereits o.g. ist die Verständigung bzw. das Verstehen das oberste Ziel zum erfolgreichen Gelingen der Kommunikation zwischen S und H. Prozeduren erfüllen bestimmte Handlungszwecke, die sich je nach Prozedurtyp differenzieren (vgl. EHLICH, 2007:1). Es lassen sich folgende Prozedurtypen benennen: expeditive, deiktische, symbolische/nennende, operative und phorische Prozeduren (vgl. ebda.). Im Zusammenhang mit literarischen Texten und ihrer genaueren Betrachtung im Rahmen des Sprachunterrichts bilden diese Prozeduren eine Grundlage zur Aneignung der Sprache als Handlungsressource. Wie im Folgenden deutlich wird, . . .

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Lexika im Unterricht für sprachlich förderbedürftige Schüler